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Endersstraße 3 Alte Post

04177 Leipzig-Lindenau

Bildinhalt: Das Grab von Anna Henriette Offenhauer und Brauereibesitzer Gustav Adolph Offenhauer befindet sich auf dem Lindenauer Friedhof in der Merseburger Straße 148.
Das Grab von Anna Henriette Offenhauer und Brauereibesitzer Gustav Adolph Offenhauer befindet sich auf dem Lindenauer Friedhof in der Merseburger Straße 148.

einst:

ehemals Dienst- und Wohngebäude der Kaiserlichen Post zu Leipzig-Lindenau in der Kaiserstraße 3, später Postamt Leipzig W 33 bzw. Deutsche Post, Hauptpostamt 7033 Leipzig.

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Die Postgebäude und das nahegelegene Telegrafenamt in der Schadowstraße wurden auf der Fläche der ehemaligen Dampfbrauerei Gustav Adolf Offenhauer, nachmals (ab 1894) Bayrische Bier-Brauerei Valentin Lapp Leipzig-Lindenau bzw. (von 1901-1905) Brauerei Groß-Crostitz [bei Hohenleina] AG Abt. Lindenau, gebaut. Angeboten wurde auch "Valentin Lapp`s Original-alkoholfreies Bier". Der experimentierfreudige Valentin Lapp erhielt weltweit zahlreiche Patente für seine Erfindungen auf dem Gebiete des Brauereiwesens, so für die Beschleunigung der Herstellung von Würze, für Vorrichtungen zum Herstellen von gequetschtem oder gemahlenem Malz fürs Maischen, für die Erzeugung von Würze, für Vorrichtungen zum Zersetzen der Maische usw., z. B. am 28.4.1901 ein Patent über das "Verfahren zur Herstellung von Grün- und Darrmalz mittels einer geeigneten Behandlung der Hülsen der Getreidekörner vor ihrer Weichung und Mälzung".
1900 war hier in der Kaiser-Wilhelm-Straße 1-3 der Sitz der Leipziger Salon-Bierkrug-Gesellschaft, Valentin Lapp u. Co.
Zuletzt (1907) befand sich hier eine Niederlage [=Niederlassung/Außenstelle] der Halberstädter Brauerei AG.
Nach dem Tod der letzten Brauereibesitzerin Henriette Offenhauer (geb. Seyferth, 16. März 1837 - 3. Februar 1907), Witwe von Gustav Adolph Offenhauer (13. November 1831 - 7. März 1890), wurden die Brauereigebäude in der früheren Bahnhofstraße 1 abgerissen, die ehemalige Betriebsfläche parzelliert, die Schadowstraße angelegt und die heutigen Gebäude errichtet.

Quellen/Literatur/Weblinks:
- Adress-Buch für Lindenau-Plagwitz und Neu-Schleußig 1885
- Leipziger Adressbücher, z. B. 1900
- United States. Patent Office: Annual Report of the Commissioner of Patents. U.S. Government Printing Office, 1904
- Kaiserliches Patentamt, Patentschrift Nr. 137708, Klasse 6a, vom 24. Dezember 1902
- Chemiker-Zeitung, Band 21, erschienen im Verlag der Chemiker-Zeitung, 1897, Seite 451

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Hier im Haus (damals Kaiserstraße 3) wohnten Laura und Leon Kohs. Sie wurden im Rahmen der sogenannten "Polenaktion" gegen jüdische Einwohner am 28.10.1938 nach Polen abgeschoben. Nach der deutschen Besetzung wurden Laura und Leon Kohs dort ermordet.

Leon Kohs wurde am 21.12.1871 in Brzesko geboren. Im Jahr 1899 heiratete er die acht Jahre jüngere Laura Tigner. Sie wurde am 25.5.1880 in Krakau geboren und entstammte einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie. Mit drei Kindern (Josef – geb. 1900, Regina – geb.1901, Salomea – geb. 1904) kam die Familie Kohs 1907 nach Leipzig, um eine Filiale des Tignerschen Pelzhandels zu eröffnen. Hier wurde 1908 die jüngste Tochter Frida Kohs geboren.

In den 1920er Jahren verheirateten sich die drei älteren Kinder mit Mitgliedern der Familie Fischel, die aus Polen stammte: 1923 Regina und Willy Fischel, 1924 Salomea (Selly) und Willys Bruder Moritz (später Max), 1926 Josef und die jüngere Schwester der Fischel-Brüder, Dora (siehe Stolpersteine Uhlandstr. 8). Innerhalb von kaum drei Jahren wurden den drei Paaren drei Söhne geboren.

Kurz vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten äußerte Laura Kohs eine dunkle Vorahnung, wie sich der in den USA lebende Enkel Henry Fishel im Jahre 2015 erinnert: "„Wenn Hitler kommt, wird es nicht gut sein für die Juden.“"

Der Kaufmann Leon Kohs besaß einen Altwarenladen in der Odermannstraße 4 [jetzt NaSch-Kindergarten] in Leipzig-Lindenau, der ein bescheidenes Einkommen ermöglichte. Durch die Abschiebung nach Polen verloren er und seine Familie jeglichen Besitz.

In den frühen Morgenstunden des 28. Oktober 1938 wurden polnische Juden in ganz Deutschland trotz gültiger Papiere von der Polizei des Landes verwiesen. Dieser Maßnahme der deutschen Behörden - bekannt als "Polenaktion" - ging ein Erlass der polnischen Regierung voraus, der festlegte, dass alle im Ausland wohnenden polnischen Staatsbürger, die größtenteils Juden waren, sich innerhalb von zwei Wochen von den örtlichen polnischen Konsulaten einen Prüfvermerk in den Pass stempeln zu lassen hatten. Die Androhung, andernfalls würden sie ihre polnische Staatsbürgerschaft verlieren, löste eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und Polen aus. Am 26. Oktober 1938 warnte der deutsche Botschafter in Polen, dass tausende polnische Staatsbürger aus Deutschland ausgewiesen würden, sollte die polnische Regierung das Dekret nicht zurück nehmen. Da sich die polnische Regierung widersetzte bzw. die deutschen Drohungen nicht ernst nahm, ordnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler an, dass alle polnischen Staatsbürger unverzüglich in Gruppentransporten über die deutsch-polnische Grenze abzuschieben seien.

Aus Josef Kohs Nachkriegsaufzeichnungen entsteht ein Bild vom Grauen jener Tage:

"„Es war am 28. Oktober 1938, an einem Freitag, als ich schon 6 Uhr früh ein starkes Klopfen an meiner Tür vernahm. Ich öffnete die Tür und blickte auf zwei Polizisten, die mir mit Taschenlampen ins Gesicht leuchteten... Wir seien ausgewiesen. Unser Zug stehe schon bereit.“"

Die verzweifelten Menschen wurden zu bereitstehenden Zügen gebracht und zur Grenze gefahren. In Beuthen wurden sie mit Waffengewalt über die Grenze getrieben. Wie viele andere irrte die Familie Kohs-Fischel durch verschiedene polnische Städte. Von der weitverzweigten Familie konnten sich nur wenige retten.

Laura und Leon Kohs fanden in Dabrowa bei Tarnow Unterkunft bei Verwandten. Später fanden hier regelrechte Massenerschießungen statt. Wer nicht erschossen wurde, wurde in das Vernichtungslager Belzec deportiert.

Vermutlich im Juli 1942 wurden Laura (62 Jahre) und Leon Kohs (70 Jahre) ermordet.

Quellen/Literatur/Weblinks:
- Dr. Uta Larkey: Eine Familiengeschichte - Polnische Juden in Leipzig (unveröffentlicht)
- Leipziger Adreßbücher 1891-1900, 1905-1907, 1933
- www.stolpersteine-leipzig.de/index.php?id=307
- Stolpersteine in Lindenau
- Der Vorgänger der Kaiserlichen Post zu Leipzig-Lindenau in der Kaiserstraße 3 war das Kaiserliche Post- und Telegraphen-Amt in der Poststraße 10 bzw. in der Demmeringstraße 32 (bis 1907).
> Altes Fernsprechamt Schadowstraße 10, ehemals Dienstgebäude "Fernsprechamt" der Kaiserlichen Post zu Leipzig-Lindenau

Bildinhalt: Hier wohnten Laura und Leon Kohs. Sie wurden im Rahmen der sogenannten
Hier wohnten Laura und Leon Kohs. Sie wurden im Rahmen der sogenannten "Polenaktion" gegen jüdische Bewohner am 28.10.1938 nach Polen abgeschoben. Nach der deutschen Besetzung wurden sie dort ermordet.
 

aktuell:

In der Endersstraße 3 hatte u. a. der gemeinnützige "Buchkinder Leipzig e.V." bis Februar 2023 mit seiner Buchkinderwerkstatt seinen Sitz.
Mit jedem Kauf der handgearbeiteten Produkte unterstützen Sie konkret die Arbeit mit den Kindern.

Buchkinder Leipzig e.V.
Endersstraße 3
04177 Leipzig-Lindenau
Telefon 0341-2253742
Telefax 0341-3061777
E-Mail info@buchkinder.de
http://www.buchkinder.de/

buchkinderONLEINSCHOP:
https://shop.strato.de/epages/15486794.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/15486794


In der Endersstraße 3b lebt der freischaffende Künstler Bertram Haude (2005-2007 Meisterschüler bei Prof. Astrid Klein, HGB).
www.bertramhaude.de

http://wunderwesten.de/interview/bertram-haude/

Arbeiten (Auswahl):
https://vimeo.com/111941612 (Bogota 2013)
www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/voelkerschlacht-reenactment-leipzig
(Krieg als Kostümfest)
www.bertramhaude.de/untitled-Regal.72.0.html
(Objekt)
www.bertramhaude.de/unter-der-erbse.84.0.html
(unter der erbse, Performance)
www.bertramhaude.de/untitled-portraits.77.0.html
(Performance)
www.bertramhaude.de/Der-Gorbitzer-Schatz.192.0.html
(Gorbitzer Schatz, Stadtteilprojekt)
www.bertramhaude.de/Performance-fuer-Kaufkaus-JOSKE.137.0.html
(Performance für Kaufhaus JOSKE)


Gedenken

Vor dem ehemaligen Wohnhaus von Laura und Leon Kohs verlegte der Kölner Bildhauer Gunter Demnig am 1. Oktober 2015 zwei "Stolpersteine" als Erinnerungsmale ebenerdig in den Gehweg.
www.stolpersteine-leipzig.de


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