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Häuserliste

Engertstraße 29

04229 Leipzig-Lindenau

Bildinhalt: Posthausschild der deutschen Reichspost um 1900
Posthausschild der deutschen Reichspost um 1900

zur Geschichte

Dieses Haus des Kaufmanns Albert Finzel in der Gemarkung Lindenau, alte Anschrift: Friedrich-August-Straße 29, beherbergte im Erdgeschoss das Kaiserliche Postamt Plagwitz II. Dieses Lindenauer Wohnhaus gehörte deshalb - ausnahmsweise - zum Postbezirk Plagwitz, war jedoch in der Lindenauer Flur errichtet worden und ist selbstverständlich noch immer im Grundbuch für Lindenau eingetragen.
Kaufmann Albert Finzel (Wohnung hier in der I. Etage) war Inhaber der direkt nebenan gelegenen Alteisen- und Metallhandlung A. Finzel, offiziell in der benachbarten Weißenfelser Straße 79/81.
Die Parfümerie Nizza (Parfümerie und Toiletteseifenfabrik) befand sich im heute noch erhaltenen Hofgebäude des Grundstückes.
Die Hausfassade der Friedrich-August-Straße 29 (seit 1947 Engertstraße 29) wurde selbstverständlich mit gelben (!) Klinkern gestaltet, ebenso wie z. B. die Fassade des damaligen Lindenauer Kaiserlichen Post- und Telegraphen-Amtes in der Demmeringstraße 32 (früher Poststraße 10 der Landgemeinde Lindenau).

1943 Friedrich-August-Straße 29
Eigentümer des Hauses: Leipziger Westend-Baugesellschaft (Lützner Straße 164)
Mieter: u. a.
Postamt W 38
A. Finzel, Kontrolleur
O. Lechler, Kaufmann
Dr. H. Löbmann, Schuldirektor i. R.
Geschwister Helene und Ottilie Spitzer, kaufmännische Angestellte, III. Etage
Die Gedenkstätte Stille Helden (Widerstand gegen die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945) in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand dokumentiert die Rettung der Jüdin Karoline Scherf durch die Geschwister Helene und Ottilie Spitzer mithilfe des Oratorianers Pfarrer Theodor Gunkel:
"Karoline Scherf geb. Grünwald
geb. 1. Februar 1896 in Berlin – gest. 2. Juli 1991 in Leipzig
Verfolgte*r
Karoline Scherf lebt in Leipzig und ist mit einem nichtjüdischen Lehrer verheiratet. Ihre jüdischen Eltern können am 12. Juli 1939 mit einem der letzten Schiffe Deutschland in Richtung USA verlassen. Karoline Scherf muss schließlich Zwangsarbeit bei der Drogerie Theuerkauf & Scheibner leisten. Von der Pflicht, einen „Judenstern“ zu tragen, ist sie aufgrund der „privilegierten Mischehe“ befreit. Da ihr Mann Paul sich nicht von ihr scheiden lässt, darf er schließlich nicht mehr als Lehrer arbeiten und wird im November 1944 zur „Organisation Todt“ eingezogen. In Osterode am Harz wird er zum Bau von militärischen Anlagen zwangsverpflichtet.
Am 10. Februar 1945 erhält Karoline Scherf die Aufforderung zur Deportation nach Theresienstadt, die drei Tage später erfolgen soll. Sie wendet sich an den Pfarrer Theodor Gunkel, mit dem sie in Kontakt steht, seitdem sich ihr Mann hilfesuchend an ihn gewandt hat. Gunkel bringt sie zu den katholischen Schwestern Helene und Ottilie Spitzer, die in unmittelbarer Nähe der Kirche wohnen. Dort übersteht Karoline Scherf die letzten Kriegswochen. Schwerkrank kehrt ihr Mann schließlich aus Osterode zurück.

Theodor Gunkel
geb. 11. September 1898 in Berlin – gest. 17. Januar 1972 in Leipzig
Helfer*in
Theodor Gunkel nimmt als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Ab 1919 studiert er katholische Theologie und wird 1926 zum Priester geweiht. Er ist einer der Mitbegründer des Oratoriums des heiligen Philipp Neri. Von 1931 bis 1966 ist er als Pfarrer dieser Priestergemeinschaft an der Liebfrauenkirche in Leipzig-Lindenau tätig. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat von Georg Elser auf Hitler am 8. November 1939 werden Gunkel und seine Mitbrüder Heinrich Kahlefeld und Philipp Dessauer inhaftiert. Nach etwa sechs Wochen wird Gunkel wieder freigelassen.
1942 besorgt er für Eva Rosenfeld, eine jüdische Ärztin, ein Versteck in Leipzig sowie den Ausweis einer Berliner Katholikin. Durch die ständige Angst gepeinigt, ihre Helfer in Gefahr zu bringen, begeht Eva Rosenfeld im Januar 1944 Suizid. Als im Februar 1945 einer in „Mischehe“ lebenden Jüdin, Karoline Scherf, die Deportation nach Theresienstadt droht, bringt Gunkel sie zu den katholischen Schwestern Helene und Ottilie Spitzer, die in unmittelbarer Nähe der Kirche wohnen. Dort übersteht Scherf die letzten Kriegswochen.
Seit 2019 erinnert eine Gedenktafel in Leipzig an die drei Oratorianer Theodor Gunkel, Josef Gülden und Werner Becker."

1947 Engertstraße 29

1996
Foto: Wohnhaus Engertstraße 29, Straßenansicht Deutsche Fotothek
© Deutsche Fotothek Aufn.-Datum: Juli 1996

Quellen/Literatur/Weblinks:
- Leipziger Adreßbuch 1903, 1904, 1906
- Adreßbuch der Reichsmessestadt Leipzig mit Markkleeberg, Böhlitz-Ehrenberg, Engelsdorf, Mölkau 1943
- Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand www.gedenkstaette-stille-helden.de
- Sammlung Lindenauer Stadtteilverein e. V.
> Lindenauer Kaiserliches Post- und Telegraphen-Amt Demmeringstraße 32


Bildinhalt: Eintrag im Leipziger Adreß-Buch 1906: Parfümerie Nizza G. m. b. H., Parfümerie und Toiletteseifenfabrik, Lindenau, Friedrich-August-Straße 29 (Telephon) (Postbezirk Plagwitz).
Eintrag im Leipziger Adreß-Buch 1906: Parfümerie Nizza G. m. b. H., Parfümerie und Toiletteseifenfabrik, Lindenau, Friedrich-August-Straße 29 (Telephon) (Postbezirk Plagwitz).
 


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